Postgeschichte wird dann besonders interessant, wenn die zeitgeschichtlichen Umstände ein normales Funktionieren der Post unmöglich machten resp. wenn zusätzliche Leistungen nötig wurden, die überdas Normale hinausgingen. Als Beispiele möchte ich hier die Themen Feldpost, Zensur oder die Post von Kriegsgefangenen und Internierten nennen. Aber es gibt da natürlich noch viel mehr wie die Einschränkungen während Seuchen oder den unterbrochenen Postverkehr in Kriegszeiten.
Dieses vielgestaltige Thema kann aber auch Bearbeitungen beinhalten, die unter dem Aspekt der‚Social Philately‘ aufgebaut wurden.
Feldpost
Feldpost war in den frühen Jahren oftmals nicht mit Portofreiheit verbunden, es gab z. B. unterschiedliche Tarife für einfache Wehrmänner und Offiziere. Im Falle kriegerischerAuseinandersetzungen wurde der Tarif oftmals abgesenkt, entweder auf den Inlandstarif oder aufeinen verbilligten Tarif. Nachfolgend dazu drei Briefe aus dem Krimkrieg 1854/56:
Abb. 1: Eingehende britische Feldpost aus Brighton an einen Fähnrich bei der “Army of occupation, Gallipoli”, dreifärbiger seltener Tarif zu 15d, versandt am 17. April 1854 über London und Calais und über das französische Feldpostbüro “ARMEE D’ORIENT Beau SEDre” weitertransportiert. Es handelt sich um einen sehr frühen Brief, britische Truppen landeten in Gallipoli / Çanakkale auf den Dardanellen nicht vor dem 4. April 1854. Bis zum 22. Mai 1854 galt der normale Tarif zu 15d mit französischem Versand in das Osmanische Reich.
Abb. 2: Eingehende britische Feldpost aus London an das Feldlazarett in Varna, Bulgarien, versandt am 28. Juli 1854. Im Mai 1854 war jetzt ein verbilligter Tarif (‘concession rate‘) von 3d eingeführt worden. Ein weiterer Penny musste für eine Spätlingsgebühr (‘late fee‘) gezahlt werden.
Abb. 3: Ausgehender doppelgewichtiger Feldpostbrief nach Paris, aufgegeben am 22. August 1855 beim französischen Hauptfeldpostamt („Armée d’Orient Quartier General“). Die Frankatur beglich zweimal den französischen Inlandstarif von 20 Centimes, der auch für die Feldpost galt.
Betrachten wir die Situation der Feldpost in der Schweiz. Im Krieg 1870/71 zwischen Preussen und Frankreich wurde die Nord- und Westgrenze besetzt und den Wehrmännern Portofreiheit zugestanden. Ein ziviler Chef der Feldpost organisierte die regelmässige Postversorgung der Truppe und ihrer Dienststellen. 1889 wurde eine militärisch geführte Feldpost eingerichtet, die ihre Bewährungsprobe im Ersten Weltkrieg bestehen musste.
Für die Wehrmänner bestand Portofreiheit, die durch den Abschlag eines Einheitenstempels auf dem Brief / der Postkarte bestätigt wurde.
Abb. 4: Bundesfeierpostkarte ohne Wertstempel, versandt mit der Feldpost nach Caux bei Montreux im August 1918 ohne Datumsangabe. Die Bundesfeierpostkarten der Jahre 1914 - 1918 existieren auch ohne Wertstempel für die Feldpost (hier in anderer Farbgebung).
Durch Bundesratsbeschluss vom 15. September 1914 wurde auch den im Felde stehenden Wehrmännern Deutschlands, Frankreichs, Österreichs und Ungarns für den Verkehr mit ihren Angehörigen in der Schweiz eine eingeschränkte Portofreiheit gewährt. Zu den Angehörigen gehörten die Ehegatten, die Eltern, Grosseltern, Kinder und Geschwister des Wehrmannes (Namensgleichheit). Im Oktober 1914 wurden die gleichen Begünstigungen auch den zum Schweizerischen Heeresdienst einberufenen Wehrmännern, im Verkehr mit ihren Angehörigen in Deutschland, Frankreich, Österreich, Ungarn und Italien gewährt.
Abb. 5: Feldpostkarte des Sergeanten Jaquot Meng bei der Flieger-Abteilung Dübendorf vom 4. Juli 1917 an seinen Vater in Fellring im französisch besetzten Teil des Elsass. Der Absender war deutsch- schweizerischer Doppelbürger aus dem Elsass und befand sich zu Kriegsbeginn in der Schweiz, weshalb er hier eingezogen wurde. Die Postkarte an seinen Vater war portofrei (Namensgleichheit) und trägt den entsprechenden Einheitenstempel, sie lief über Frankreich und wurde dort zensiert.
(siehe: Reinhard Stutz; I. Weltkrieg: Taxierung im grenzüberschreitenden Feldpostverkehr; Post & Geschichte (2003))
Abb. 6: Feldpostkarte des Sergeanten Jaquot Meng bei der Schützen-Kompagnie II/7 vom 8. April 1917 an seine Verlobte in Hüsseren im französisch besetzten Teil des Elsass. Die Postkarte an seine Verlobte war nicht portofrei (keine Namensgleichheit) und trägt den entsprechenden Einheitenstempel, die Freimarke wurde nochmal in Scherzingen am Hauenstein entwertet.
Abb. 7: Postkarte aus Sembrancher, Wallis an Maurice Voulaz, ein schweizer Mitglied der französischen Fremdenlegion, versandt am 25. März 1915. Wurde bei der zivilen schweizer Post aufgegeben, ein Dienst unter fremder Fahne war in der Bundesverfasssung verboten. Dementsprechend gab es auch keine Portofreiheit.
Zensur
Briefzensur ist ein weltweites Phänomen und wurde schon immer betrieben. In Kriegszeiten fand diese „öffentlich“ statt, der Empfänger wurde mit einem Zensurstempel (siehe auch franz. Zensurstempel in Abb. 5) über die erfolgte Zensur informiert oder der geöffnete Brief wurde mit einem Papierstreifen oder durch Wachssiegel verschlossen.
Abb. 8: Zensur in Russland; Eingeschriebener Brief von der kleinen Bahnstation Obidomo an der Bahnlinie Sysran - Wjasma an das Rote Kreuz in Genf vom 27. November 1914. Der Brief zeigt vorderseitig zwei Zensurstempel von St. Petersburg und rückseitig insgesamt drei Stempel von Petrograd zwischen dem 1.12. und 29.12.1914 sowie den Ankunftsstempel von Genf vom 27.12.1914. Der Transport vom Aufgabeort zum Zensurort Petrograd dauerte somit nur vier Tage, dann blieb der Brief aber 28 Tage liegen, bis er die Zensur durchlaufen hatte und es brauchte nochmals elf Tage für den Transport über Skandinavien, England und Frankreich in die Schweiz, total also 43 Tage.
In der Schweiz fand im Ersten Weltkrieg keine Zensur statt. Weder bei der Post im Inland noch aus oder in die Schweiz. Während der Spannungen zwischen der Deutsch-Schweiz und der Romandie wurden eine ganze Reihe von politischen Karten gedruckt, die man fast nie gebraucht findet, da sie ‚das Ansehen der Schweiz oder einer der Kriegsparteien herabwürdigen‘ und bei Versand von der Post eingezogen wurden. Sie wurden im eigentlichen Sinne also nicht zensiert, sondern einfach dem Empfänger nicht übergeben.
Abb. 9: Protestkarte aus Saignelégier, die nach der so genannte Obersten-Affäre im Jahr 1915 und den leichten Urteilen gegen die beiden Verräter den Tod von ‚Mademoiselle Neutralité Helvétia‘ in Form einer Trauermitteilung verkündet. Eine derartige Karte wurde normalerweise eingezogen. Hier lief sie als Drucksache jedoch unbehelligt von Cossonay in der Waadt nach Voiteur im französischen Jura.
Post von Kriegsgefangenen und Internierten
Im Ersten Weltkrieg aber auch schon davor und danach nahm die Schweiz ganze Militäreinheiten auf, die sich hierher geflüchtet hatten wie die Bourbaki - Armee, dann entwaffnet und bis zum Kriegsende interniert wurden. Ähnlich verhielt es sich z. B. mit verletzten Soldaten im Ersten Weltkrieg, die nach Gefangennahme aus den Lazaretten im Feindesland in die Schweiz entlassen wurden und hier bis Kriegsende interniert und gepflegt wurden. Auch diese Internierten genossen Portofreiheit, wobei ein Stempel der Internierten-Verwaltung die Portofreiheit bestätigte.
Abb. 10: Bildpostkarte eines internierten französischen Kriegsgefangenen in St. Cergue bei Nyon an einen anderen in Leysin vom 11. September 1916. Der violette Handstempel „Internment des Prisonnieres de Guerre / St. Cergue p. Nyon - Suisse“ garantiert die Portofreiheit.
Pandemien und Seuchen
Während Pandemien und Seuchen kam es zu Quarantänemassnahmen bei Mensch und Tier. Beispielhaft möchte ich hier Karten aus der Zeit der Spanischen Grippe 1918/19 und der Maul- und Klauenseuche 1920/21 zeigen.
Wer während der Spanischen Grippe aus dem Ausland in die Schweiz einreiste, musste in Quarantäne. Diese Postkarte von der Quarantänestation Frauenfeld vom 17. März 1919 trägt eine entsprechende Soldatenmarke und geniesst offensichtlich Portofreiheit. Die Bildseite zeigt einen Teil des Personals der schweizer Gesandtschaft in Petrograd. Am 14. November 1918 mussten die sowjetischen Diplomaten aus der Schweiz ausreisen, im Gegenzug wurde die schweizer Gesandtschaft in Petrograd im Februar 1919 geschlossen. Die Angehörigen der schweizer Botschaft in Petrograd kamen am 12.3.1919 in Frauenfeld an.
Im Jahr 1920 brach die Maul- und Klauenseuche vor allem im Kanton Bern aus. Zum Schutz des Tierbestandes wurde auch die Post desinfiziert und die so behandelte Post mit entsprechenden Stempeln versehen.
Postkarte von Jegenstorf nach Basel, 14. April 1920. Durch die Viehseuche war Jegenstorf vom 20.3. bis 4.8.1920 isoliert. Ausgehende Post wurde desinfiziert und mit einem entsprechenden Handstempel markiert.
Postkarte Münchenbuchsee nach Galmiz bei Murten, 26. Juni 1920 In Münchenbuchsee selber gab es keinen Ausbruch der Seuche, die Karte stammt wahrscheinlich aus dem verseuchten Ort Zuzwil oder Umgebung.
(Siehe auch Stutz, Reinhard; Desinfizierte Post während der Maul- und Klauenseuche; Post & Geschichte Magazin (März 2011) S. 14-33)
Unterbrochener Postverkehr
Der Postverkehr konnte durch unterschiedliche Ereignisse unterbrochen werden. Seien es z. B. Kriegsereignisse selber resp. die Etablierung einer neuen Macht und die damit einhergehende Reorganisation des Postwesens. Oder ganz einfach die Isolation eines Landes.
Abb. 14: Brief von Genf nach Burshtyn vom 10.3.1915, vorderseitiger Handstempel „Service postal suspendu“, rückseitig weiter Stempel von Genf vom 27.3.1915. Wahrscheinlich hat der Brief Genf nie verlassen. Burshtyn liegt in Ost-Galizien, das zu Österreich gehörte, aber zu diesem Zeitpunkt von Russland besetzt war. Der Absender des Briefes versuchte daher, den Brief über Frankreich und Petrograd zu leiten, was auch nicht möglich war.
Auch nach dem Ende kriegerischer Ereignisse war manchmal kein Postversand möglich, wie z. B. nach Sowjetrussland bis Ende Mai 1920.
Abb. 15: Amtlicher Brief des schweizerischen Roten Kreuzes an das französische Konsulat in Odessa vom 27.4.1920, Rückkunft am 31.5.1920. Als Leitweg wurde Mailand und Konstantinopel angegeben, der Brief lief aber über Frankreich nach Grossbritannien, er trägt einen britischen „RETURN TO SENDER“ mit handschriftlichem Vermerk „Service suspended“ und den französischen „PAS DE COMMUNICATION“ sowie „RETOUR à L'ENVOYEUR“.
Zusammenfassung: Wer die vorlegenden Belege nochmal Revue passieren lässt, erkennt sehr schnell, dass das verbindende Element zusätzliche Nebenstempel sind, die für diese aussergewöhnlichen Situationen geschaffen wurden resp. die veränderten Bedingungen des Postverkehrs erklärten. Die grosse Vielfalt an derartigen Stempeln und die ihnen zugrundeliegenden aussergewöhnlichen Situationen machen den Reiz aus, der in diesen postgeschichtlichen Sammlungen liegt.