Intro

Liebe Leser,

wie die Michel-Rundschau in der April-Nummer 1981 aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle zu berichten wusste, sei in Deutschland ein Einzeller gezüchtet worden, der sich ausschliesslich von dem zum Aufkleben von Briefmarken verwendeten Gummi ernährt. Sollte sich diese Information bewahrheiten, so kommen auf die Briefmarken-Sammler aufregende Zeiten zu. Der sogenannte Gummifresser soll sich nämlich schnell vermehren, explosionsartig ausbreiten und von grosser Fresslust sein. Da bis Redaktionsschluss immer noch kein Mittel bekannt ist, welches das erwähnte Tierchen von seinem respektlosen Tun abhalten könnte, so ist stark zu befürchten, dass seine Verbreitung an der Schweizer Grenze auch nicht Halt machen wird.

Stellen wir uns doch mal die Folgen für die Philatelie vor! Vorab die Sammler postfrischer Marken sind die Geprellten, da ihnen allen der Originalgummi abhanden kommen wird. Das ehrbare Gewerbe der Nachgummierer steht vor dem totalen Ruin, denn der verabscheuungswürdige Einzeller frisst auch allen „Nachgummi" — und mit Vorliebe jenen in Luxusqualität — glattweg auf. Tröstlich ist nur, was andererseits doch der Philatelie zum Wohl gereichen mag, dass nun zwangsläufig der Vorderseite der Briefmarken wieder vermehrt Interesse entgegengebracht wird. Ich glaube doch, hier die wichtigere Seite der Briefmarke zu erkennen, selbst wenn sie durch irgendeinen Poststempel verunziert sein sollte.

Von diesen Tierchen droht auch den Postverwaltungen grosse Gefahr, welchen zwar bekanntlich nachgesagt wird, Briefmarken lieber an Sammler zu verkaufen, ohne eine postalische Dienstleistung dafür erbringen zu müssen. Es sei wieder einmal daran erinnert, dass Briefmarken dafür geschaffen wurden, um auf Briefe geklebt zu werden. Als Quittung, dass der Absender das Porto für die von der Post zu erbringende Leistung im voraus entrichtet habe. Da der Gummifresser insbesondere den jungen postfrischen Gummi der Neuausgaben liebt, ist auch dieser unsprüngliche Verwendungszweck der Briefmarken in Frage gestellt. Welcher Postkunde klebt denn eine Briefmarke ohne Gummi auf einen Brief?!

Es ist leicht vorauszusehen, dass als Folge dieser prekären Situation die GANZSACHE eine Renaissance erleben wird. Da das Wertzeichen bei der Ganzsache eingedruckt ist, erübrigt sich der Gummi. Es ergeben sich interessante Perspektiven für Ganzsachen-Sammler: Die Schweizer PTT würde vielleicht auf ihren Entscheid zurückkommen, „die Auslandpostkarte entspreche keinem allgemeinen kundendienstlichen Bedürfnis". Bildpostkarten, Bundesfeier-Postkarten, ja gar Tüblibriefe und anderes mehr wird wohl von der PTT schleunigst wieder eingeführt werden ... Ich wünsche auch Ihnen, liebe Leser, recht erholsame Sommerferien und verbleibe bis zur nächsten Nummer im Herbst.

Ihr Hans R. Schwarzenbach

© Schweizerische Vereinigung für Postgeschichte / SVPg