Frühdaten Ortspost und Poste Locale – Eine Leserzuschrift Kostbarkeiten aus der Wertzeichensammlung des PTT-Museums: Eine Berichtigung

Ein e Leserzuschrif t Küsnacht, den 13. Juni 1994 

Lieber Herr Schwarzenbach,
in Ihrer letzten Nummer (58) der Postgeschichte, die ich heute erhalten habe, bilden Sie auf Seite 4 einen Brief ab, mit einem 4er-Streifen Poste Locale in Reyden (LU) am 24. Mai 1850 aufgegeben, entwertet mit einer eidgenössischen Raute. Der Autor stellt in diesem Artikel fest, dass es sich um das früheste Datum einer Poste Locale handle und dass sich offenbar die Post seinerzeit nicht an die Aufteilung französische Sprache einerseits für die Romandie und das Tessin und deutsche Sprache andererseits für die Deutschweiz gehalten habe. Dazu muss gesagt werden, dass die eidgenössische Postverwaltung im Mai 1850 diese ersten neuen eidgenössischen Marken an 30 grössere Ortschaften versandt hat, und zwar genau nach Gebieten getrennt. Mit dem Versand erfolgte auch die Instruktion, diese Marken dürften probeweise verwendet werden und müssten mit dem Rundstempel mit Datum entwertet werden. Die Städte Zürich und Genf retournierten die Marken, da sie die Winterthur- und die Waadt 5-Marken schon im Umlauf hatten. Reyden (LU) bekam in dieser Aussendung keine Marken. Dass nun gerade die früheste Verwendung dieser Marke in der falschen Sprachregion stattgefunden haben soll, ist auf jeden Fall unwahrscheinlich. Noch unwahrscheinlicher wird die Sache aber, wenn die Marken mit einer eidgenössischen Raute entwertet sind, die erst im August 1851 eingeführt wurde. Es zirkuliert noch ein weiteres Frühdatum einer Ortspost ohne Kreuzeinfassung vom 18.Mai 1850. Ich kenne das Stück leider nicht, aber es scheint unwahrscheinlich, dass Durheim, der diese Marken druckte, vor dem Druck der Rayonmarken, Ortspost und Poste Locale ohne Kreuzeinfassungen druckte. Hätte er dies getan, gäbe es wahrscheinlich auch keine Rayons mit Kreuzeinfassungen; somit ist es, sofern es sich um einen Brief handelt, eine weitere Fälschung. Handelt es sich um ein loses Stück, hat ein Postbeamter möglicherweise den Stempel falsch eingestellt. Allerdings wurde die Vorschrift, die Marken mit dem Rundstempel zu entwerten, auf den 1. Oktober 1850 aufgehoben.

Wir Sammler sind normalerweise zu «attestgläubig», das scheint auch für das Postmuseum zuzutreffen. Aber nicht nur die Sammler, auch die Prüfer verlassen sich offenbar auf frühere Urteile. Es würde ihnen sicher gut anstehen, sich manchmal etwas mehr Gedanken zu machen, was seinerzeit möglich war und was nicht Was sind nun die Frühdaten dieser Marken? Für die Ortspost mit Kreuzeinfassung kennen wir eine Reihe von Daten; das Früheste auf einer Briefvorderseite vom 15. Juni 1850 (Abb. l siehe Titelseite); sowie eine Reihe weiterer vor dem 1. Oktober 1850. Diese Daten sind alle mit dem Rundstempel der Stadt St. Gallen belegt. Aus einer weiteren Gemeinde dieses Kantons ist mir keine bekannt. Die Kreispostdirektion Chur erlaubte die Verwendung auf den 1. September 1850, es sind jedoch bis jetzt keine Briefe oder lose Marken aus dem September 1850 bekannt geworden. Die einzige Kreispostdirektion, die die Marken wirklich verwendete, war St. Gallen. Für weitere Kreispostdirektionen müssten Heimatsammler die notwendigen Nachforschungen anstellen.

Für die Poste Locale mit Kreuzeinfassung gibt der Zumstein Katalog ein Frühdatum in den ersten Tagen vom Oktober 1850. Es ist allerdings ein Brief vom 28. Juni 1850 aus Lausanne bekannt (siehe Abbildung 2), der äusserst interessant ist.


Abb. 2

Er ist am 1. April 1850 in «La Prairie pres Knoxville Tennessee» (USA) von einem ausgewanderten Pfarrer als Antwort auf einen vom April 1849 datierten Brief geschrieben. Dieser Pfarrer hat den Brief einer Rückwandererfamilie in die Schweiz anvertraut, die ihn in Lausanne zur Post brachte. Nachdem die Marke Type 7 ist, kann man vermuten, dass dies nicht der einzige Brief ist. Warum allerdings das Postamt Lausanne nur diese Briefe mit einer Poste Locale frankierte, bleibt ein Rätsel. Warum hingegen die nächsten Daten aus dem Oktober aus Zürich stammen, lässt sich erklären. Zürich hatte die ursprüngliche Lieferung von Ortspost nach Bern zurückgesandt, und beim Neuaussand scheint man entweder nicht mehr auf die Sprachregion geachtet zu haben, oder es waren nur noch Poste Locale vorhanden.

Es wäre erfreulich, wenn einer Ihrer Leser wüsste, wo sich das Stück vom 18. Mai 1850 befindet, oder wenn Leser noch Daten von anderen Kreispostdirektionen zur Hand hätten.

NACHTRAG vom 29. Juli 1994

In der Zwischenzeit hat mir das Postmuseum eine Farbfotografie des Briefes in PG 58, S. 4 zugestellt. Herrn Meier habe ich mitgeteilt, dass unten links vorderseitig der Vermerk «frei» steht, und dass dies bedeute, dass das Porto vom Absender bezahlt sei. Wenn nun die Marken nicht auf den Brief gehörten, müsste sich auf der Rückseite ein Vermerk befinden. Tatsächlich findet sich dort eine rote Zwei, was bedeutet, dass das Porto 2 Kreuzer (= 5 Rp alte Währung) betrug, und dass das Porto bar erlegt wurde. Auch dies gibt die Sicherheit, dass die Marken nicht auf den Brief gehören.

Dass diesen Vermerken keine Rechnung getragen wird, zeigt auch ein Zürich 4- Brief, der kürzlich in einem Auktionskatalog abgebildet war, und der von Zürich nach Rafz (sofern man die deutsche Schrift lesen kann!) gesandt wurde, und auf dem ebenfalls «frei» zu lesen war. Rückseitig war nämlich eine rote 6 für das barbezahlte Kantonalporto vermerkt, und damit war der Brief, trotz übergehender Rosette und einem guten Attest, eine Frankaturfälschung.

Mit herzlichen Grüssen Walter Haemmerli