Zum Sammelgebiet Zensurpost
Zu einem der interessantesten Nebengebiete der Philatelie gehört unbestritten das Sammeln von Zensurpost, also von solchen postalischen Belegen, die eine Kontrolle durch eine Behörde erkennen lassen. Da das Briefgeheimnis in allen Kulturstaaten des Weltpostvereins geschützt ist, wird die Ausübung einer Zensur nur durch eine Ausnahmeverfügung in Notfällen angeordnet werden, verständlicherweise im Fall eines Krieges und bei ähnlichen Gefahrmomenten für den betreffenden Staat. So kennt man auch eine Kontrolle aus steuerrechtlichen Gründen, die sogenannte „Devisenkontrolle", deren Belege wiederum als Teilgebiet der Postzensur von Sammlern gesucht wird.
Schwieriger zeigt sich der Komplex der geheimen Kontrollen, die aus politischen Gründen auch in Friedenszeiten bei einigen Staaten erfolgen (wie vordem über Jahrhunderte lang durch das berüchtigte "Cabinett noir" in Frankreich). Hier werden vom Sammler geschichtliche Kenntnisse gefordert, zumal die Behandlung solcher Belege durch die Zensur unkenntlich bleiben musste.
Der Aufbau einer allgemeinen Zensurpost-Sammlung erfolgt primär nach chronologischen Gesichtspunkten und erst in zweiter Linie nach den verschiedenen Ländern. Natürlich bleibt es jedem Sammler vorbehalten, sich nur auf ein bestimmtes Teilgebiet oder Land zu beschränken, denn das gesamte Gebiet hat in den letzten Jahren beachtliche Dimensionen angenommen und ergibt immer weitere Forschungsergebnisse. Eigene Arbeitsgemeinschaften in mehreren Ländern befassen sich nicht nur mit dem Sammelgebiet Zensurpost, sondern spezialisieren sich auch auf deren Teilgebiete wie Burenkrieg, Kriegsgefangenenpost, KZ, Revolutionsbriefe u.a.
Zeitlich kann man in der Geschichte der Postzensur drei Perioden unterscheiden, die die Einteilung erleichtern: Die VORZEIT (bis 1899), die FRÜHZEIT (1899-1914) und die NEUZEIT (ab 1914). In der ersten Periode der Vorzeit erfolgten die Zensurierungen noch irregulär und willkürlich ohne öffentliche staatliche Verfügung. Hierzu zählen die Gefängniszensuren der französischen Revolution, die Grenzübergangsstempel der preussischen Armee-Polizei von 1815, die Briefkontrolle der Kriegsgefangenen in den nordamerikanischen Lagern (1861/65) und in den deutschen und französischen Gefangenenlagern von 1870/71, während Zivilpost in jener Zeit von beiden Gegnern ungeöffnet befördert und zugestellt wurde - ein für unsere heutigen Begriffe idyllischer Zustand.
Im Jahre 1899 mit dem Beginn des Burenkrieges- genauer im „Zweiten Anglo-Burischen Krieg" — ändert sich diese Sachlage schlagartig. Nun wurde auf beiden gegnerischen Seiten rücksichtslos zensuriert. Die erste offiziell organisierte Postzensur mit Kennzeichnung sämtlicher zensurierten Sendungen durch Stempel, Signatur und Verschlusszettel begann. Daher kann man den Burenkrieg als den Beginn der Geschichte der Postzensur bezeichnen.
Die Zensurbelege von burischei1 Seite sind spärlich; es wurden nämlich nur Sendungen von und nach dem Ausland kontrolliert, daneben sämtliche Post von kriegsgefangenen Engländern in burischen Lagern und stichweise die eigene Feldpost aus den besetzten britischen Gebieten (l Stempeltype bekannt). Für die Zivilpost gab es keine Zensurstempel; man verwendete papierne Klebestreifen, die meist mit dem Poststempel versehen wurden (3 Typen). In der Anfangszeit - vom 10. Oktober bis November 1899 — verwendete man zum Wiederverkleben der geöffneten Briefe als Provisorium die alten weissen Postamtszettel. Solche Briefe sind ausserordentlich selten (Abb. 1).
Nicht minder selten sind Briefe aus den burischen Lagern; hiervon kennt man 5 Stempeltypen. Von dem verbündeten Oranje-Freistaat existieren dagegen keine.
Abb. 1:Das Verdienst, weltweit die ersten Zensurstreifen verwendet zu haben, kommt der Südafrikanischen Republik* zu. Als Provisorium wurden ab 10. Oktober 1899 die bereits vorhandenen Postverschlussetiquetten als Zensurstreifen verwendet. Der abgebildete Brief— am 11. Oktober in Johannesburg zensuriert - ist damit ein „Beinahe-Ersttag" der offiziellen Zensur (Photo T.C. Sträub, Chur) ^Anmerkung: Die „Südafrikanische Republik" war der Name der grössten Burenrepublik und wurde nach der Besetzung in „Transvaal" umbenannt
Verschlusszettel. Es gibt lediglich zwei Stempeltypen (der Postverwaltung). Infolge ihrer kurzen Verwendungsdauer - der Staat wurde nach der Besetzung bereits am 13. März 1900 zur britischen Kolonie erklärt - sind auch diese Belege sehr selten (Abb. 2).
Abb. 2:Stempel des Generalpostmeisters von Bloemfontein als Zensurvermerk im Oranje Freistaat auf einem Brief von Ende Februar 1900 aus dem Freistaat an einen kriegsgefangenen Buren im Lager Simonstown (bei Kapstadt). Zwei weitere Zensurvermerke sind angebracht: Der Zensurstreifen der Briten und der Zensurstempel des Kriegsgefangenenlagers (Photo T.C. Sträub, Chur)
Auf britischer Seite begegnet man einer Unzahl von Verschlusszetteln, -streifen und Stempeltypen. Schon die Zensurverkleber, als welcher anfangs in Natal provisorischerweise der weisse lokale Postamtszettel von Durban (12. November bis 23. Januar 1900) verwendet wurde, weisen nicht weniger als 21 Haupttypen mit 14 Untertypen auf, eine erstaunliche Zahl für die zweieinhalbjährige Verwendungszeit. Allerdings bedingte dabei der Tod der Königin Victoria und die Thronbesteigung Edwards VII. im Frühjahr 1901 einen Wechsel der Aufdruckbuchstaben „V.R." in „E.R.". Was die Form und Zahl der britischen Zensurstempel betrifft, so erscheint ihre Vielfalt nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass jeder Resident in den besetzten Gebieten sich das Stempelbild für seinen Zensurvermerk frei gestalten konnte. Mit den Untertypen zugerechnet zählt man 296 britische Ortszensurstempel; wenn man dazu die Stempel der Gefangenen- und Konzentrationslager, sowie die Initialstempel der Zensoren berücksichtigt, ergibt sich die beachtliche Zahl von 368 britischen Zensurstempel aus dem Burenkrieg (Abb. 3).
Abb. 3: Ungewöhnlicher Zensurstempel von Aliwal North (Kap Kolonie) auf einem bereits in Bloemfontein (Oranje Freistaat) durch die Britischen Besatzungsbehörden geöffneten und zensurierten Brief vom Dezember 1900 (Photo T.C. Sträub, Chur)
Sie sämtlich zusammenzutragen, dürfte auch einem Sammler mit grossen Geldmitteln schwerlich gelingen. Das Kapitel Frühzeit beschliesst der Russisch- Japanische Krieg von 1904/5. Belegstücke mit Zensuren gibt es von beiden Seiten; russischerseits in Form von grossen runden Armeestempeln mit dem zaristischen Adler, japanischerseits meist Langstempel mit dem Zeichen „K-E-Z" (Ken Etsu Zumi - Zensuriert). Alle diese Belege sind selten. Während sich die Zensurtätigkeit im Buren- und Russisch-Japanischen Krieg auf die Post der am Krieg beteiligten Länder beschränkte, erreicht sie im folgenden Ersten Weltkrieg eine Ausdehnung, die selbst neutrale Staaten erfasst. Im Zweiten Weltkrieg (1939/45) schliesslich dehnt sich die Institution der Postzensur weltweit aus; in dieser Periode gibt es — mit der einzigen Ausnahme von Afghanistan und Türkei — keinen Staat der Erde, der nicht offiziell zensuriert. Es würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen, auf die mannigfachen Erscheinungsformen einzugehen. Jedenfalls wird hier dem Sammler ein reiches Feld für sein Hobby geboten, das obendrein manche Möglichkeit zu einer Spezialisierung eröffnet. Abschliessend sei zu seiner Orientierung die philatelitische Definition des Begriffes ZENSURPOST gegeben. Man versteht darunter die Kontrolle des Nachrichteninhalts einer über den Postweg beförderten Sendung (Karte, Briefe, Telegramm oder Paket), wobei es unwesentlich ist, von welcher Stelle - amtlich oder nichtamtlich — diese durch Kennzeichnung mittels Stempel, Verkleber oder Handschrift bestätigte Kontrolle ausgeübt wurde (für gewisse Belegstücke aus der Vorzeit — vor 1899 - kann das Kriterium der Kennzeichnung entfallen).
LITERATUR: Karl Kurt Wolter, DIE POSTZENSUR, Band I und II, 1965/66
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