Kleine Raritäten verraten sich
In letzter Zeit beginnt man auch hierzulande zu begreifen, dass Philatelie erst so richtig spannend wird, wenn man nicht nur gestempelte und ungestempelte Postwertzeichen in teure Alben einordnet, sondern auch deren Verwendungszweck und die Verwendungsmöglichkeit mit Bedarf sfrankaturen aufzeigt. Dass ein Zusammentragen geeigneter Belege dieser Art nicht immer leicht ist, möchte ich an einem praktischen Beispiel beweisen. Dabei soll von einer „ganz gewöhnlichen" Freimarke die Rede sein. Es handelt sich um die ZU-Nr. 127, den 12 Rp.-Wert der Tellausgabe. Sie steht im Katalog mit 1.50/5.50 für lose Exemplare zu Buche und gehört demzufolge sicher nicht zu den „schwierigen Fällen". Ganz anders verhält es sich mit Einzelfrankaturen dieser Marke auf Bedarfsbelegen. Hier gehört ein sauberer, aus der Zeit stammender Beleg auch für den gewiegten Sammler ganz und gar nicht zu den Alltäglichkeiten.
Spätestens nach den Ergebnissen der letzten Auktionen, an welchen solche Belege angeboten wurden, dürfte sich da eine kleine Rarität verraten haben. Das einzige einwandfreie Stück konnte nämlich anlässlich der 9. Rölli-Auktion bei einem Ausrufspreis von 70.— erst nach harter „Auktionsschlacht" mit 540.- zugeschlagen werden (Titelseite)! Wenn es damals noch Leute gegeben haben mag, welche diesen Preis als „Spinnerei" abtaten, müssten sie doch stutzig geworden sein, als an nächsten Auktionen auch qualitativ weniger gutes Material sehr hohe Preise erzielen konnte.
Abb. 2:
Wie kommt es denn dazu, dass ein im Spezial-Katalog von Zumstein scheinbar hoch angesetzter Preis von Fr. 100.— nicht annähernd ausreicht, sich einen dieser Belege zu erstehen? Geht man der Sache etwas auf den Grund, findet man recht bald eine plausible Antwort auf diese Frage.
Die Marke war als Ersatz für die auslaufende Ziffermarke ZU-Nr. 62/84 vorgesehen, welche vorwiegend als Nachnahme- Frankatur zur Verwendung kam. Sie gelangte frühestens im September 1914 an die Postschalter. Da aber das Nachnahmeporto, für welches unsere Marke gedruckt wurde, ab 1. Februar 1915 auf 13 Rp. Erhöht wurde, gab es nur während knapp 4 bis 5 Monaten diese bedarfsmässige Verwendungsmöglichkeit als Einzelfrankatur.
Auch gilt es zu berücksichtigen, dass von Sammlern und Händlern allzu lange nicht erkannt wurde, was da für ein kleines „Wunderding" heranreifte. Darum wurden bestimmt viele Belege zerstört, um auf diese Weise lose gestempelte Exemplare für den in den Vordruckalben vorgesehenen Platz zu erhalten.
Dass Ausnahmen die Regel bestätigen können, zeigt Abb. 2! Denn, 30 Rp. Plus 12 Rp. Porto per Nachnahme einzuziehen, ist doch eher ein Luxus. Ein versierter Philatelist scheint schon damals erkannt zu haben, dass es 65 Jahre später so etwas wie ein Nachholbedürfnis für schöne Belege geben könnte. Jedenfalls: Die Karte ist sauber, das Porto stimmt und sie stammt aus der Zeit.
Wer weiss: Vielleicht gibt es auf dem Gebiet der „angewandten Philatelie" noch mehr solche kleinen Raritäten zu entdekken.
© Schweizerische Vereinigung für Postgeschichte / SVPg