Ein Traumstück für den Strubel-Spezialsammler

Eine Gelegenheit, die sich wahrscheinlich nur einmal im Leben bietet, hat der vermutlich bedeutendste gegenwärtige Strubel-Spezialsammler bei der IBRA-Auktion 2023 von Gärtner ergriffen: Er ersteigerte die Einzelfrankatur eines l FrankenStrubels auf dünnem Papier (SBK Nr. 27B2m) auf einem doppelgewichtigen, eingeschriebenen Auslandbrief mit korrektem Porto. Diese Gelegenheit durfte man einfach nicht ziehen lassen, zumal der attraktive Beleg über zwei Atteste verfügte; eines von einem ehemaligen und eines von einem aktuellen Schweizer Verbandsprüfer. In Anbetracht der aussergewöhnlich seltenen, ja vielleicht sogar einmaligen Konstellation, schien der Ausrufpreis von 8000 € mehr als moderat. Die Katalogbewertung liegt für die seltene Type auf Seidenpapier bei 26'000 CHF für eine Marke auf Brief. Wobei dies vielleicht für die üblichen Auslandbriefe mit einer Mehrfarben- bzw. Buntfrankatur gelten mag. Eine portogerechte Einzelfrankatur erfordert eine bestimmte seltene Konstellation und dürfte deshalb bei weitem höher zu bewerten sei. So die Überlegungen eines Strubel-Spezialisten.

Konkret handelte es sich um einen doppelgewichtigen Charge-Faltbrief von Greifensee vom 22. August 1862 nach Grubenbach (Königreich Württemberg) vom 1. Schweizer in den 3. deutschen Rayon in direkter Leitung. In der Tarifperiode vom 15.10.1852 bis 31.08.1868 errechnete sich das Porto auf 80 Rappen für den Brief der 2. Gewichtsstufe zuzüglich 20 Rappen Einschreibegebühr, insgesamt also auf exakt einen Franken. Weil die Postablage in Greifensee nicht über einen so hohen Wert verfügte, wurde die Marke erst in Zürich aufgeklebt. Der schwache Rötelvermerk «18» links unten steht für zweimal 9 Kreuzer (= 60 Rappen) und entspricht dem vereinsländischen Portoanteil. Die Einschreibe-Gebühr von 20 Rappen ging zugunsten der Schweizer Post.

Eine gewisse Überraschung stellte sich gleich bei der Auktion ein, denn es wollte sich kein wirkliches Bietergefecht für den ausserordentlich seltenen und attraktiven Charge-Brief entwickeln. Schliesslich erfolgte der Zuschlag bereits bei 8'600 €. Nun ist man als Strubel-Sammler gut beraten, besonders seltene Stücke durch jenen Experten prüfen zu lassen, der für das Strubel Standard-Werk verantwortlich zeichnet, Urs Hermann. Er steht im Ruf, nicht nur sehr detaillierte Atteste zu verfassen; er prüft auch entsprechend aufwändig und minutiös. Wenn ein philatelistisches Spitzenstück seine strenge Prüfung unbeanstandet übersteht, so darf man getrost davon ausgehen, eine echte Rarität zu besitzen.

Die beiden eingangs erwähnten Atteste von Verbandsprüfern datieren von 2002 und 2023. Letzteres war vermutlich speziell im Hinblick auf die IBRRA-Auktion in Auftrag gegeben worden. Der betreffende Experte hat im Rahmen seiner Prüftätigkeit die Marke zu einem kleinen Teil von der Unterlage gelöst, um die Papierstärke zu messen. In seinem Attest führt er sodann auch aus, dass es sich um eine echte, sehr seltene Einzelfrankatur der violetgrauen Marke auf dünnem Papier handelt. Gärtner erwähnte im Losbeschrieb die Vorzüge des Belegs und bezeichnete diesen zu Recht als «extrem seltene Einzelfrankatur der l Fr. Marke auf Seidenpapier».

Die Freude über den Erwerb der Rarität sollte aber nur von kurzer Dauer sein. Urs Hermann, der vom Käufer mit einer weiteren Expertise beauftragt wurde, holte sich die Erlaubnis, die Marke gesamthaft abzulösen, um diese als Nr. 27B2m (früher 27E) mit gelbem Seidenfaden genau prüfen zu können. Das Ergebnis war erschütternd, denn wieder einmal entpuppte sich eine ausserordentliche Rarität leider als Verfälschung. Wie das? Die Papierstärke stimmt grossflächig mit den Anforderungen an einen Seidenpapier-Strubel überein und misst zwischen 0,03 und 0,05 mm. Im Bereich des Seidenfadens wurde jedoch die Stärke von mittelstarkem Münchner Papier gemessen, d.h. einem «normalen» l Franken-Strubel 27B2ge bzw. 27D. Urs Hermann stellte bei seiner Prüfung fest, dass die Marke grossflächig dünn geschabt worden ist, mit Ausnahme der Stelle mit dem Seidenfaden. Dieser wäre sonst wohl freigelegt worden. Jedenfalls hat es der Fälscher geschafft, zwei Verbandsprüfer mit seiner fast perfekten Verfälschung - einer «philatelistischen Todsünde», wie Urs Hermann schrieb - zu täuschen. Schliesslich wurde sein Machwerk aber nach Jahrzehnten doch noch als solches entlarvt.

Für den Käufer ging das Abenteuer glimpflich zu Ende. Das Auktionshaus Gärtner nahm den Beleg anstandslos zurück, erstatte nicht nur den Kaufpreis, sondern auch die Attestkosten von Urs Hermann und offerierte dem enttäuschten Kunden überdies noch eine Entschädigung für seinen Aufwand und das persönliche Überbringen nach Bietigheim.

Schade, so muss der betroffene Strubel-Spezialist weiter auf eine adäquate Gelegenheit warten. Bleibt am Schluss noch eine offene Frage: Was hat wohl die anderen Altschweiz-Spezialisten und -Händler davon abgehalten, auf diese einmalige Rarität zu bieten?

Illustration: Brief Vorder- und Rückseite mit Transit- und Ankunftsstempeln

© Schweizerische Vereinigung für Postgeschichte / SVPg