Abnormitäten bei Tübli-Briefen (I)
Wenn wir von Abnormitäten sprechen, dann müssen wir zuerst versuchen, diesen Begriff richtig zu definieren. Abnormal ist jeder Tübli-Umschlag, bei dem der Produktionsablauf nicht so erfolgte, wie sich diesen die damals für die Produktion verantwortlichen Personen vorstellten. Um auf die zahlreichen Fehler eingehen zu können, muss vorerst der Produktionsablauf bei der Herstellung der Umschläge geklärt werden, oder besser gesagt, es muss der Versuch unternommen werden, den Produktionsablauf nachzuempfinden.
Im Vorwort des Zumstein-Ganzsachen Kataloges, Ausgabe 1975, kann man auf Seite 9, erster und zweiter Absatz, lesen, dass die Briefumschläge bei Jouvet & Gassmann in Lausanne hergestellt wurden. Andererseits tritt als Lieferant der Tübli-Briefe immer die Eidg. Münze in Bern auf. Wie soll man diese beiden Mitteilungen miteinander in Einklang bringen? Auf Grund meiner Erkenntnisse und einer Reihe von Gesprächen möchte ich — bis mir der Beweis gelingt —folgende Theorie aufstellen:
Die Papierfabrik Biberist lieferte das Papier in Bogen an Jouvet & Gassmann in Lausanne.
Alsdann erfolgte der erste Arbeitsgang, indem mit den (heute) im Postmuseum befindlichen Prägeplatten das Kontrollzeichen ins trockene Papier geprägt wurde.
Obwohl alle Prägeplatten rechteckig sind, vertrete ich den Standpunkt, dass das Papier annähernd quadratisch gewesen sein muss, dass also die Prägeplatten mit den Tauben pro Papierblatt zweimal verwendet wurden. Nur so ist es zu erklären, dass relativ viele Fehler — verschiedene Stellungen der Tauben — überhaupt vorkommen konnten.
Da sicher alle Sammler von Schweizer Ganzsachen den Artikel von Prof. Jacques de Beaumont über die Wasserzeichenabarten (Der Ganzsachensammler Juli 1973: "Les filigranes des enveloppes timbrees." Die Ganzsache 2/3/1983 Schweiz: "Die Kontrollzeichen der Briefumschläge 1867 - 86") kennen, möchte ich hier nur den wichtigsten Satz daraus wiedergeben: "Dadurch, dass der Arbeiter das Papier falsch in die Stanze legte, können theoretisch 8 verschiedene Wasser- oder Kontrollzeichen vorkommen."
Da den Untersuchungen von Prof. de Beaumont kaum etwas hinzugefügt werden kann, soll bei dieser Studie auf Abarten der Kontroll- und Wasserzeichen verzichtet werden.
Für unsere Betrachtungen ist es unwesentlich, ob das Papier bereits mit dem eingepressten Kontrollzeichen von der Papierfabrik angeliefert wurde, oder aber dieses in Lausanne geprägt wurde. Im zweiten Arbeitsgang wurde nun das Papier ausgestanzt. Es kann angenommen werden, dass mehrere Papierbogen gleichzeitig in die Stanze gelegt wurden, weil die tieferliegenden Rohlinge manchmal ausgefranst sind. Vor allem bei den Umschlägen 4—1 5 kann man deutliche Unterschiede bei der Form der Schnittlinie erkennen.
Es ist anzunehmen, dass der 3. Arbeitsgang zur Herstellung der Rosettenprägung diente. Beim 4. Arbeitsgang wurden die Rohlinge gefalzt.
Beim 5. und somit letzten Arbeitsgang, der bei Jouvet & Gassmann durchgeführt wurde, trug man an beiden Klappen Klebstoff auf.
Nun erfolgte die Lieferung an die Eidg. Münze in Bern, deren Direktor Herr Escher war. Es ist anzunehmen, dass bei der Übernahme eine stückzahlmässige Überprüfung durchgeführt wurde.
Sodann erfolgte der wesentliche Arbeitsvorgang Nr. 6, nämlich das Prägen des Wertstempels. Vor dem Ausliefern wurden die vorgefalzten Rohlinge zu Umschlägen gefaltet, wobei natürlich nur der Gummi an der unteren Klappe benetzt und an die beiden seitlichen Klappen geklebt wurde (Arbeitsvorgang Nr. 7).
Wir wissen nun über die Reihenfolge des Produktionsablaufes Bescheid. Für unsere weiteren Betrachtungen ist es nun fast unwesentlich, ob die Vorfertigung bei Jouvet & Gassmann oder aber die gesamte Fertigung in der Eidg. Münze erfolgte. Sollte jedoch ausschliesslich in Bern produziert worden sein, dann kann mit Sicherheit eine andere Reihenfolge der Arbeitsgänge im Produktionsablauf angenommen werden.
Es gibt nun spektakuläre Abarten, die von Sammlern um viel Geld gesucht werden. Für andere Abarten wiederum gibt man kein Geld aus, weil man "nichts sieht". Der vorliegende Artikel möchte keine Korrektur in dieser Richtung anstellen, wohl aber da und dort einen Hinweis zur Seltenheit anbringen. Die Leser dieser Zeilen mögen aber auch nicht glauben, dass bereits sämtliche Abarten registriert seien; die folgende Zusammenstellung kann somit nicht vollständig sein.
Abbildung zu Punkt l: Ungebrauchter Umschlag Z 14 mit diagonal über den Umschlag verlaufendem Nahnvasserzeichen. Bei der Papierherstellung ist die Filzbahn waagrecht gerissen und genäht worden. Um Platz zu sparen, wurden die Rohlinge in schräger Stellung ausgestanzt. Den gleichen Winkel beim Nahtwasserzeichen finden wir auch bei den anderen bekannten Umschlägen.
l. Fehler bei der Papierherstellung
In der BBZ 4/82 beschrieb Herr Hertsch die Existenz eines Nahtwasserzeichens bei einem Umschlag Nr. 13. Demnach wurde das Papier über eine Filzbahn zur Trokkentrommel geführt. Wenn diese Filzbahn riss, wurde sie mit Draht geflickt. Diese Flickstellen wurden dann mehr oder weniger auf das Papier übertragen. Ausser der Nr. 13 existiert noch ein 25er Tüblibrief (Z 14), bei dem quer über den Umschlag ein solches Nahtwasserzeichen sichtbar ist. Während beim Umschlag Z 13 das Kontrollzeichen Taube fehlt, ist beim Umschlag Z 14 die Taube in Normalstellung sichtbar. Ein dritter mir bekannter Umschlag Z 4 hat ein deutliches Nahtwasserzeichen, welches auf der Vorderseite von der rechten unteren Ecke links vom Wertstempel vorbei verläuft. Diese Nahtwasserzeichen sind sicher sehr selten; sie werden jedoch kaum beachtet, weil sie nur bedingt für ein Ausstellungsobjekt geeignet sind. Der Ordnung halber sei hier angeführt, dass bei fast allen Umschlägen Papierdicken von 0,08 — 0,12 mm vorkommen.
2. Fehler beim Stanzvorgang
Es ist anzunehmen, dass mehrere Papierbogen gleichzeitig ausgestanzt wurden. Wenn die Messer stumpf waren, wurden ausgefranste Rohlinge produziert. Viel wesentlicher sind jedoch die verdreht bzw. verkehrt und verdreht in die Stanzvorrichtung eingelegten Papierbogen. Dadurch entstanden nämlich sämtliche Kontroll- und Wasserzeichenabarten. Der in Kürze erscheinende Zumstein-Ganzsachen-Katalog ist in dieser Richtung neu überarbeitet worden und gibt dem Sammler aufschlussreiche Hinweise.
3. Fehler bei der Rosettenprägung
Kaum ein philatelistischer Ausdruck ist so variantenreich. (Klappenstempel, Reliefstempel, Verschlussstempel). Da mir keiner dieser Begriffe voll zusagt, schlage ich als neue Begriffsbestimmung "Rosettenprägung" vor, weil mit diesem Wort wirklich alles ausgesagt wird. Bei manchen Umschlägen gibt es ausschliesslich erhöhte, bzw. vertiefte Rosettenprägungen, bei anderen wiederum gibt es beide Ausführungen. Wir können drei Arten von Fehlern bei der Rosettenprägung unterscheiden:
a) Keine Rosettenprägung
b) Über den Zuschnitt hinausragende Rosettenprägung
c) Teilweise spiegelbildliche Rosettenprägung, weil während des Prägevorganges die Spitze der Verschlussklappe umgebogen war.
Abbildung zu Punkt 3 b: Gebrauchter Umschlag Z 5. Die über den Zuschnitt hinausragende Rosettenprägung gibt die Garantie dafür, dass der Stanzund Prägevorgang nicht in einem Arbeitsgang durchgeführt wurde.
Abbildung 3 c
Abbildung zu Punkt 3 c: Gebrauchter Umschlag Z 8. Bei der Herstellung der Rosettenprägung war die Spitze der Klappe umgebogen.
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, eine Liste dieser Abarten zu erstellen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass darüber hinaus in anderen Sammlungen noch weitere Abnormitäten ruhen.
Aus dieser Tabelle, in die Sie noch Ihre Schätze eintragen können, ist ersichtlich, dass mit der Verbesserung der Produktionsmittel weniger Fehler aufgetreten sind.
An dieser Stelle muss jedoch noch erwähnt werden, dass manche Umschläge, welche von Privaten in Auftrag gegeben wurden und auf der Klappe einen Firmenstempel zeigen, keine Rosettenprägung besitzen.
4. Fehler beim Falzvorgang
Diese Arbeit wurde bei Jouvet & Gassmann durchgeführt. Fehler sind mir bisher nicht bekannt, es sei denn, dass man Abweichungen in der Couvertgrössse von l - 2 mm als nennenswert bezeichnet und somit als erwähnenswert betrachtet. Im übrigen wird auf Fehler, deren Ursache beim Falzvorgang liegt, später noch eingegangen werden.
5. Fehler beim Klebevorgang
Mir sind hier keine Fehler bekannt. Bei genauer Betrachtung der Klebestellen bemerkt man natürlich, dass bei den ersten Umschlägen der Klebstoff mittels Pinsel von Hand aufgetragen wurde, während bei den späteren Produkten schon eine einfache Vorrichtung zum Auftragen des Klebstoffes diente.
Fortsetzung folgt