War Erich Kästner ein verkappter Postgeschichtler?
Das Vorwort zu Erich Kästners reizvollem Werk "Der kleine Grenzverkehr" zeigt die Liebe des Autors für die Philatelie und ich meine der Text nimmt auch bereits einige Gedanken der Postgeschichte voraus. Eine Idee für ein Exponat? Es lohnt sich auch das ganze Werk zu lesen. Aber hier das Vorwort und ich hoffe, damit keine Autorenrechte verletzt zu haben.
Als ich dieses kleine Buch, während der Salzburger Festspiele Anno 1937, im Kopf vorbereitete, waren Österreich und Deutschland durch Grenzpfähle, Schlagbäume und unterschiedliche Briefmarken "auf ewig" voneinander getrennt. Als das Büchlein, im Jahre 1938 erschien, waren beide Länder gerade "auf ewig" miteinander verbunden worden. Man hatte nun die gleichen Briefmarken und keinerlei Schranken mehr. Und das kleine Büchlein begab sich, um nicht beschlagnahmt zu werde, hastig ausser Landes.
Habent sua fata libelli, wahrhaftig, Bücher haben auch ihre Schicksale. Jetzt, da das Buch in einer neuen Auflage herauskommen soll, sind Deutschland und Österreich wieder voneinander getrennt. Wieder durch Grenzpfähle, Schlagbäume und unterschiedliche Briefmarken. Die neuere Geschichte steht, scheint mir, nicht auf Seiten der Schriftsteller, sondern der Briefmarkensammler. Soweit das ein sanfter Vorwurf sein soll, gilt er beileibe nicht der Philatelie, sondern allenfalls der neueren Geschichte.
Der Verleger, der Autor und der Illustrator des Buches lebten früher einmal in derselben Stadt. In einer Stadt namens Berlin. Nun haust der eine in London, der andere in München und der Dritte in Toronto. Sie haben, jeder auf seine Weise, mancherlei erlebt. Klio, die gefährliche alte Jungfer, hat sie aus ihren Häusern, Gewohnheiten und Träumen getrieben. Wenn sie voneinander Briefe bekommen, mit seltsamen Marken und Stempeln, lächeln sie und schenken die Kuverts irgendwelchen kleinen Jungen. Denn ob in England, Deutschland oder Kanada - kleine Jungen, die Briefmarken sammeln findet man immer.
Erich Kästner Zürich, im Frühjahr 1948