Nova Friburgo - Schweizer Auswanderer in Brasilien
Nicht wenige der interessanten älteren Belege der Schweizer Postgeschichte verdanken wir Menschen die es wagten - teils aus Unternehmergeist, teils aus Not - über die Grenzen der Schweiz hinauszugehen, hinaus in die weite Welt. Dazu gehört auch die Gruppe die sich 1819 aufmachte um in Brasilien ein Nova Friburgo zu begründen. 2013 Menschen machten sich auf den Weg, 1702 erreichten lebendig Südamerika, 1662 erreichten Nova Friburgo, 632 waren es noch 10 Jahre später. Etwa die Hälfte erholte sich nicht von den Strapazen der Reise oder waren den neuen Umständen nicht gewachsen, die andere Hälfte suchte sich bessere Anbauzonen und wurde hauptsächlich im Kaffeeanbau recht erfolgreich.
Hinter diesen Zahlen stehen sehr differenzierte menschliche Schicksale, von denen sehr viele - Danke den umfangreichen, sorgfältigen Nachforschungen von Martin Nicoulin - geschichtlich nachvollziehbar sind. In seiner Studie „Le Genese Nova Friburgo -.Emigration et colonisation suisse au Brösil 1817 - 1827" wird minutiös über die einzelnen Familien, die politischen, materiellen Hintergründe und ihrer Auswirkungen berichtet. Was mich dabei sehr berührte war die Erkenntnis, wie viele Kräfte und Menschen dem Machtkampf zwischen den Grossmächten und den Kirchen zum Opfer fielen. Weder Frankreich noch England bekundeten Freude bei der Portugiesischen Entwicklung in Brasilien. So erreichten viele Hilfen und Hilfsgüter die junge Schweizer Kolonie zu spät. Korruption auf allen Seiten schwächte das schwierige Unternehmen von Beginn weg und das Verhalten der Kirchen war sehr oft alles andere als brüderlich. Bei genauem Studium stellt man mit Erstaunen fest, wie immer wieder die „Ändern" als die „Bösen" hingestellt werden. Erstaunlich ist aber auch, wie es immer wieder Persönlichkeiten gibt, die diese Gräben überschreiten und ganz einfach den Menschen, - welcher Religion und Nationalität auch immer - zugetan sind und ihnen erlauben auf dieser Erde weiter zu leben.
Das Werk von Martin Nicoulin ist sehr empfehlenswert. Zeigt es doch auf sehr sachliche Weise auf, wie die Kräfte der wirtschaftlichen Lage, (Hungersnot), der regionalen Politik („Säuberung" der Bevölkerung), der internationalen Politik (Wienerkongress und Machtkampf um die Weltvorherrschaft), wie der Einfluss der Kirchen direkt auf die einzelnen Menschen einwirkten. Was hat sich seither verändert? Bei all diesen Hürden erscheint es oft wie ein Wunder, dass einige Menschen glücklich überlebten und irgendwo an einem sinnvollen menschlichen Aufbau teilhaben durften.
Sie mögen sich fragen was diese Ausschweifung soll: Ganz einfach, für mich wird der Hintergrund der zu einem Beleg führte immer lebendiger, wesentlicher und spannender.
Der Stempel COLONIES PAR / LE HAVRE, sagt aus, dass der erste französische Hafen, den das Schiff aus Südamerika anlief, Le Havre war. Dort, oder in Paris, wurde der Brief auch in blauer Tinte für die Gewichtsstufe für einen Brief von 8-10 Gramm mit 15 Decimen bis an die Schweizer Grenze austaxiert (l Decimen für den Kapitän + 9 Decimen Calais - Delle ergeben 10 Decimen für den einfachen Brief; 8 Gramm = 50% Zuschlag = 15 Decimen).
Diese 15 Decimen wurden von Fischer an Frankreich bezahlt und wahrscheinlich in 42 Kreuzer umgerechnet. Mit den 18 Kreuzer für einen doppelten Brief nach Ferlans kam das Gesamtporto von 60 Kreuzern zustande. Herrn Richard Schäfer danke ich für die liebenswerte Beratung.
Nun lassen wir den Brief sprechen: (1. Aus der Hand eines geübten Schreibers) Monsieur! Me trouvant privee de reponse ä la lettre du 23 Septembre 1823, j'ai eu l'honneur d'adresser ä la Direction des orphelins de Romont, et ne recevant aucune nouvelle de mon Curateur Claude Butti, je viens vous prier de vouloir bien reclamer et m'envoyer, ... une copie de mon compte afin que je sache ce qui me revient sur les interets echus ....Et comme je suis depuis longtemps dans un extreme besoin, je vous autorise ... à. toucher tout ce qui me revient et à l'envoyerà Mr. Fritz Tavel ä Payerne qui dejà a ete prie par son frere Auguste de me faire parvenir cette somme par les soins du fonde de procuration à Rio Janeiro du dit Mr. August Tavel.
Je vous prie de vouloir bien faire savoir ä Mr. Xavier de Vuilleret que j'ai re9u sä lettre du 9 Fevrier 1823.
Je vous aurai Obligation de faire agreer mon Souvenir ä toutes les personnes de ma famille et de ma connaissance qui voudraient bien se rappeler de moi .... sign. Marie Butti
(2. Geschrieben von Marie Butti) Ci-joint un nouvel extrait mortuaire de feu mon mari. Je vous prie de me dire le nom du fermier qui habite maintenant mon domaine et qui est maintenant le tuteur qui est Charge de nos affaires.
(3) « Je certifie verkable la signarure de Marie Butti. Nouvelle Fribourg, 17 avril 1825
Jacobus Joye Parochus (Joye war der Vikar von Nova Friburgo, - von ihm ist ein sehr ausführlicher Brief aus dem Jahre 1820 erhalten geblieben). Also brauchte es aus amtlichen Gründen beinahe 2 Monate, bis dieser Brief, der für Marie Butti ja sehr dringend war, endlich auf die lange Reise gehen durfte. Wann er ankam ist nicht ersichtlich.
Datiert: Nouvelle Fribourg au Bresil, le 25 Fevrier 1825
Wie lange manchmal ein Samen in der Erde bleibt, bis er aufgeht. Vor ca. 50 Jahren hat mir Werner Liniger ein Buch aus dem Jahre 1877 geschenkt mit dem Titel: La Colonie Suisse de Nova Friburgo et la Societe Philanthropique Suisse de Rio de Janeiro. Vor ca. 40 Jahren konnte ich bei Adolf Glättli in Zürich den abgebildeten Brief erwerben. Somit ist dies auch ein Dank an zwei meiner einflussreichsten Lehrmeister in der Philatelie.